Dienstag, 13. Dezember 2011

Der Stein der Weisen


Den Stein der Weisen zuzubereiten, ist das Opus Magnum, das Ziel und Meisterstück der alchemistischen Arbeit, durch die die rohe, zwar ursprünglich jungfräuliche, aber durch den Sündenfall verdorbene prima materia zur reinen, vollkommen durchgeistigten ultima materia, eben dem Stein der Weisen, veredelt werden soll. Der Stein der Weisen wird oft auch bezeichnet als: Roter Löwe (Roter Leu), Roter Drache, Großes Elixier oder Rotes Elixier, Magisterium, Rote Tinktur, Panazee des Lebens, Astralstein oder Philosophischer Stein. Der Schlüssel zur Bereitung des Steins der Weisen soll nach alchemistischer Tradition bereits in den 13 Absätzen der Tabula Smaragdina des Hermes Trismegistos gegeben sein.

Die Zubereitung des Steins der Weisen ist nicht, wie es oft missverständlich aufgefasst wird, primär auf bestimmte Hantierungen mit äußeren Substanzen ausgerichtet, sondern bedeutet vielmehr eine schrittweise zu entwickelnde geistige Arbeit, die einmal zur völligen Vergeistigung des physischen Leibes führen soll. Allerdings war die äußere alchemistische Arbeit dabei eine wichtige und notwendige Hilfe, um die inneren Wandlung herbeizuführen, und umgekehrt sollte die dadurch errungene geistige Kraft auf die äußeren Substanzen, mit denen man arbeitete, veredelnd zurückwirken. Wahre Alchemie berücksichtigt immer beide Aspekte: die praktische Experimentierkunst und den damit verbundenen geistigen Schulungsweg. Die Bereitung des Steins der Weisen verläuft über vier grundlegende Stufen, die mit den vier Elementen, Wasser, Luft und Feuer korrespondieren, die durch die Aufnahme der quinta essentia, der Ätherkräfte, schrittweise vergeistigt werden sollen.
Der Ausgangsstoff für den ganzen Prozess ist die prima materia, der noch ungeläuterte ,Stoff der oft auch als Jungfernerde oder grüner Löweoder grüner Drache bezeichnet wird. Um welchen konkreten Stoff es sich dabei handelt, wird meist nicht gesagt. Die Schwärzung(lat. nigredo, griech. melanosis) dieses Urstoffes bildete den ersten Schritt des Großen Werkes. Als Symbol steht dafür der Rabe. Durch die fortgesetzte Läuterung des Stoffes wurde zunächst die Weißung (lat. albedo, griech. leukosis), bei der sich symbolisch der Rabe zur weißen Taube verwandelt, und dann die Gelbung (lat. citrinitas, griech. xanthosis) erreicht. Misslang die Gelbung, so stellte sich die vielfarbige ,cauda pavonis der sog. Pfauenschwanz, ein. Die letzte und höchste Stufe war die Rötung (lat. rubedo, griech. iosis). Der Stoff rötet sich und wütet als roter Drache gegen sich selbst, bis er sich in Blut verwandelt, was anzeigt, dass der Verwandlungsprozess gelungen ist. Der so gewonnene Stein der Weisen ist nach der Beschreibung des Paracelsus leuchtend rubinfarbig, durchsichtig und sehr schwer. Darstellungen aus dem späteren Mittelalter lassen vielfach die Stufe der Gelbung aus, so dass man es dann nur mehr mit der Trias von nigredo, albedo und rubedo zu tun hat. In der Praxis verlief das alchemistische Magisterium zumeist über mehr als vier Stufen, da vorbereitende Arbeiten und auch gewisse Zwischenschritte notwendig waren. Die Zahl und Abfolge dieser Schritte variiert bei den verschiedenen Autoren. Alchemie ist eben keine abstrakte Wissenschaft, sondern eine individuell zu handhabende Kunst. Basilius Valentinus und Paracelsus sprechen, wie auch viele andere Autoren, von sieben Schritten, die mit den sieben Planeten zusammenhängen. Im Rosarium Philosophorum des Arnaldus de Villanova wird die Zubereitung des Steins der Weisen in 10 (bzw. 20) Stufen beschrieben und George Ripley ("Ripley's Twelve Gates") nennt 12 Stufen, die ihre deutliche Entsprechung in den zwölf Bildern des Tierkreises haben. In allen Fällen war man sich bewusst, dass der kosmische Einfluss auf die Wandlung der irdischen Stoffe sehr bedeutsam ist. Das Opus Magnum kann nur gelingen, wenn es zur rechten Zeit, d.h. unter einer geeigneten kosmischen Konstellation, ausgeführt wird.
Typische Arbeitsschritte waren:
1. :calcinatio Durch längeres Erhitzen wird die Ausgangssubstanz oxidiert und pulversisiert.
2. solutio: Die Substanz wird aufgelöst oder, beispielsweise durch Schmelzen, verflüssigt (liquefactio), wobei ein sogenanntes Mercurialwasser entsteht.
3. mortificatio und putrefactio: Damit die Substanz später erneuert werden kann, muss sie zuvor getötet, d.h. vom Geist befreit, und zur Verwesung gebracht werden. Man lässt dazu für längere Zeit, meist 40 Tage, die Substanz im Bauch der Erde verwesen, wie einen Leichnam im Grab, der zur Mutter Erde zurückkehrt. Die rohe Stoff muss zuerst sterben und den in ihm waltenden Geist in seine eigentliche geistige Heimat, die überirdische Welt, entlassen, um später von dort in höherer Gestalt wieder auferstehen zu können. Die eintretende Schwärzung (nigredo), symbolisiert durch den schwarzen Raben, zeigt den des Stoffes an, der damit in den Zustand der prima materia zurückgeführt wurde. Damit die Tod Substanz wieder auferstehen und den in himmlischen Sphären geläuterten Geist empfangen kann, muss sie bis zum Weißen aufgehellt werden. Die Albedo tritt ein, symbolisch dadurch dargestellt, dass sich der schwarze Rabe nun in eine weiße Taube verwandelt. Manchmal wird die allmählich einsetzende Aufhellung auch durch ein Rabenhaupt symbolisiert, das sich weiß färbt.
4. reductio: Nun muss der bei den vorangegangenen Prozessen verflüchtigte Geist dem aufbereiteten Stoff wieder zurückgegeben werden. Dazu wird die Substanz so lange mit „philosophischer Milch” lacta philosophica genährt, bis sie sich gelb färbt, also die (citrinitas) eintritt. Scheitert diese Prozedur, so zeigt sich die cauda pavonis, der vielfarbige Pfauenschwanz. Die Erscheinung des Pfauenschweifes wird allerdings, sofern er sich nur vorübergehend zeigt, nicht von allen Autoren als negativ beschrieben, sondern wird vielfach auch als notwendiges Durchgangsstadium betrachtet, das anzeigt, dass das Große Werk auf dem rechten Weg ist.
5. sublimatio: Die Substanz wird sublimiert und in einem zweiten Gefäß wieder als Feststoff niedergeschlagen und steigert sich dabei in einer sehr heftigen Reaktion zur Röte (rubedo). Sie streitet dabei als roter Drache gegen sich selbst und verwandelt sich in Blut, woran die erfolgreiche Reduktion zu erkennen ist.
6. coagulatio oder fixatio: der von der Substanz aufgenommene Geist muss nun verdichtet und in der Materie fest verankert (fixiert) werden, womit sich das Grundprinzip der Alchemie zur Läuterung der Substanz, das «solve et coagula» (löse und verdichte), erfüllt. Gelegentlich schließt sich daran noch die fermentatio, bei der durch Zugabe einer sehr geringen Menge Goldes der ganze Prozess beschleunigt wird.
7. Der Lapis philosophorum, die ultima materia, die meist als schweres, dunkelrot glänzendes Pulver beschrieben und oft als Roter Löwe dargestellt wird, bildet den Endpunkt der Prozedur.

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